Mittelalter: Essen und Trinken Buchtipp: Das Buch ist in drei Hauptteile gegliedert...
Die Weinkenner von heute wären entsetzt
Nur wenige der heute so zahlreichen Mittelalterspektakel scheinen ohne die Inszenierung von vermeintlichen deftigen Mittelalterfressereien auszukommen. Meist wird dabei den Besuchern eine ferne Welt vorgegaukelt, in der gewaltige Mengen an gebratenem Fleisch verzehrt wurden, wozu man Bier und Wein in Strömen hat fließen lassen.
Die Schlaraffenlandvisionen auf den Gemälden Pieter Brueghel des Älteren mit schlemmendem Volk haben wohl das Übrige zu dieser Vorstellung beigetragen.
Dabei war im Mittelalter weniger der in den Bart tropfende Bratensaft die Regel, sondern eher der durch Emmer-, Dinkel- oder Haferpamps bekleckerte Wollkittel. Wenn überhaupt – denn Hunger, langanhaltender Hunger, quälte oft die kleinen Leute, da es ausreichend Nahrung im Mittelalter nur für eine ganz dünne Oberschicht gab. „Hungersnot geht über alle Not”, hieß es daher jahrhundertelang.
Sehr oft gesellten sich Mangelerscheinungen, durch fehlende Vitamine etwa, hinzu, weil frische Lebensmittel prinzipiell eine Ausnahme in den mittelalterlichen Holznäpfen waren.
Mit jenem Missverständnis einer rustikal-deftigen Ernährungspraxis des Mittelalters räumt der im vergangenen Jahr leider vierundsechzigjährig verstorbene Göttinger Mediävist Ernst Schubert in seinem letzten Buch in prinzipieller Weise auf. Dabei versucht er Ernährungsgeschichte, die ja zweifellos Teil einer Alltagsgeschichte ist, als einen Zugang zur Gesellschaftsgeschichte zu nutzen.
Getreu Brechts Diktum „Erst kommt das Fressen, dann die Moral”, zeichnet er einen Blick von unten, bei welchem dem einfachen Volk ohnehin Schuberts ganze Sympathie gehört.
Die große Panscherei
Das Buch ist in drei Hauptteile gegliedert: „Das Essen”,
„Das Trinken” und drittens dann, welchen Stellenwert „Essen und Trinken in den Lebensordnungen” einnahmen.
Schubert vermag in seinem Werk Teile eines beeindruckenden Panoramas einer mittelalterlichen Ernährungskultur zu entrollen. Da er in seiner quellennahen Darstellung aber hauptsächlich deutsche Verhältnisse in den Blick nimmt, ist der Titel des Buches „im Mittelalter” eigentlich zu weit gefasst, und für einen Vergleich innerhalb des mittelalterlichen Europas reicht das ausgebreitete Material ohnehin nicht aus.
Besonders faszinierend ist das Buch jedoch in jenen Bereichen, in denen Schubert die Geschichte einzelner prominenter Nahrungsmittel nachzeichnet. Da geht es um die fundamentale Bedeutung des Salzes etwa, nicht nur als Würzmittel, sondern als Konservierungstoff.
Man erfährt, welch gewaltiger Raubbau an Mensch und Natur in manchen Regionen nötig war, um an dieses lebensnotwendige Mineral zu gelangen. Oder der Leser erfährt von der großen Bedeutung des Weinbaus und -handels, der Köln immerhin zum „Weinhaus der Hanse” machte. Die Herstellung des Weines wird hier als schwere Plackerei geschildert, jenseits einer Winzerromantik mit pauswangigen Maiden, wie sie das 19. Jahrhundert erst erfand.
In seinem so interessanten wie unterhaltsamen Buch zertrümmert Ernst Schubert eine Reihe weiterer liebevoll tradierter Vorstellungen. Was man im Mittelalter zum Beispiel als Wein zu sich nahm, scheint mit dem Getränk, welches wir in der Gegenwart so lieben, allenfalls den Namen gemeinsam gehabt zu haben.
Die Weinkenner von heute würden die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, wenn sie wüssten, was man im Mittelalter alles mit dem Wein angestellt hat. Asche, Kalk oder Sand kamen hinein, um die Trübung zu lindern, und alles, was nur irgendwie süßen konnte, Honig, Harz oder Eigelb, sollte dem Gaumen schmeicheln. Mitunter wurde der Wein auch gekocht, um die Gärung abzubrechen und auf diese Weise noch ein wenig von der geschätzten Süße zu erhalten.
Auch das bei Biertrinkern bekannte Reinheitsgebot des Jahres 1516 ist eigentlich eine spätere Erfindung. Nicht die Reinheit des Bieres lag dem Gesetzgeber von damals, dem bayerischen Herzog Wilhelm IV., am Herzen, sondern sein Preis. Es sollte nichts hinein, was den Preis des Getränks hätte hochtreiben können: nämlich einen Pfennig für die Maß.
Eigentlich war es also anfangs ein Preisbindungsgesetz, das dann lange Zeit ohne jede weitere Beachtung blieb. Erst Werbestrategen im 19. Jahrhundert formten die Legende, es sei schon seit langer Zeit in Bayern um ungepanschtes Bier gegangen.
Mitunter kann einen ja ein wenig der Hunger überkommen, wenn man in Büchern über das Essen liest. Sollte man sich am nächsten Wochenende nicht mal einen hübschen Braten machen? Doch die Lektüre von Schuberts faszinierender Studie hinterlässt eher einen Stoßseufzer:
Gott sei Dank, dass man selbst von diesen scheußlichen Dingen, die da als Nahrungsmittel beschrieben werden und die zu erlangen unsere Vorfahren sich so quälen mussten, bislang keine hat zu sich nehmen müssen. OLAF B. RADER
ERNST SCHUBERT: Essen und Trinken im Mittelalter. Primus Verlag, Darmstadt 2006. 439 Seiten, 39,90 Euro.
Einfach kochen wie die Besten
20-mal Sterneköche mit der SZ Bibliothek der Köche
Nur wenige der heute so zahlreichen Mittelalterspektakel scheinen ohne die Inszenierung von vermeintlichen deftigen Mittelalterfressereien auszukommen. Meist wird dabei den Besuchern eine ferne Welt vorgegaukelt, in der gewaltige Mengen an gebratenem Fleisch verzehrt wurden, wozu man Bier und Wein in Strömen hat fließen lassen.
Die Schlaraffenlandvisionen auf den Gemälden Pieter Brueghel des Älteren mit schlemmendem Volk haben wohl das Übrige zu dieser Vorstellung beigetragen.
Dabei war im Mittelalter weniger der in den Bart tropfende Bratensaft die Regel, sondern eher der durch Emmer-, Dinkel- oder Haferpamps bekleckerte Wollkittel. Wenn überhaupt – denn Hunger, langanhaltender Hunger, quälte oft die kleinen Leute, da es ausreichend Nahrung im Mittelalter nur für eine ganz dünne Oberschicht gab. „Hungersnot geht über alle Not”, hieß es daher jahrhundertelang.
Sehr oft gesellten sich Mangelerscheinungen, durch fehlende Vitamine etwa, hinzu, weil frische Lebensmittel prinzipiell eine Ausnahme in den mittelalterlichen Holznäpfen waren.
Mit jenem Missverständnis einer rustikal-deftigen Ernährungspraxis des Mittelalters räumt der im vergangenen Jahr leider vierundsechzigjährig verstorbene Göttinger Mediävist Ernst Schubert in seinem letzten Buch in prinzipieller Weise auf. Dabei versucht er Ernährungsgeschichte, die ja zweifellos Teil einer Alltagsgeschichte ist, als einen Zugang zur Gesellschaftsgeschichte zu nutzen.
Getreu Brechts Diktum „Erst kommt das Fressen, dann die Moral”, zeichnet er einen Blick von unten, bei welchem dem einfachen Volk ohnehin Schuberts ganze Sympathie gehört.
Die große Panscherei
Das Buch ist in drei Hauptteile gegliedert: „Das Essen”,
„Das Trinken” und drittens dann, welchen Stellenwert „Essen und Trinken in den Lebensordnungen” einnahmen.
Schubert vermag in seinem Werk Teile eines beeindruckenden Panoramas einer mittelalterlichen Ernährungskultur zu entrollen. Da er in seiner quellennahen Darstellung aber hauptsächlich deutsche Verhältnisse in den Blick nimmt, ist der Titel des Buches „im Mittelalter” eigentlich zu weit gefasst, und für einen Vergleich innerhalb des mittelalterlichen Europas reicht das ausgebreitete Material ohnehin nicht aus.
Besonders faszinierend ist das Buch jedoch in jenen Bereichen, in denen Schubert die Geschichte einzelner prominenter Nahrungsmittel nachzeichnet. Da geht es um die fundamentale Bedeutung des Salzes etwa, nicht nur als Würzmittel, sondern als Konservierungstoff.
Man erfährt, welch gewaltiger Raubbau an Mensch und Natur in manchen Regionen nötig war, um an dieses lebensnotwendige Mineral zu gelangen. Oder der Leser erfährt von der großen Bedeutung des Weinbaus und -handels, der Köln immerhin zum „Weinhaus der Hanse” machte. Die Herstellung des Weines wird hier als schwere Plackerei geschildert, jenseits einer Winzerromantik mit pauswangigen Maiden, wie sie das 19. Jahrhundert erst erfand.
In seinem so interessanten wie unterhaltsamen Buch zertrümmert Ernst Schubert eine Reihe weiterer liebevoll tradierter Vorstellungen. Was man im Mittelalter zum Beispiel als Wein zu sich nahm, scheint mit dem Getränk, welches wir in der Gegenwart so lieben, allenfalls den Namen gemeinsam gehabt zu haben.
Die Weinkenner von heute würden die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, wenn sie wüssten, was man im Mittelalter alles mit dem Wein angestellt hat. Asche, Kalk oder Sand kamen hinein, um die Trübung zu lindern, und alles, was nur irgendwie süßen konnte, Honig, Harz oder Eigelb, sollte dem Gaumen schmeicheln. Mitunter wurde der Wein auch gekocht, um die Gärung abzubrechen und auf diese Weise noch ein wenig von der geschätzten Süße zu erhalten.
Auch das bei Biertrinkern bekannte Reinheitsgebot des Jahres 1516 ist eigentlich eine spätere Erfindung. Nicht die Reinheit des Bieres lag dem Gesetzgeber von damals, dem bayerischen Herzog Wilhelm IV., am Herzen, sondern sein Preis. Es sollte nichts hinein, was den Preis des Getränks hätte hochtreiben können: nämlich einen Pfennig für die Maß.
Eigentlich war es also anfangs ein Preisbindungsgesetz, das dann lange Zeit ohne jede weitere Beachtung blieb. Erst Werbestrategen im 19. Jahrhundert formten die Legende, es sei schon seit langer Zeit in Bayern um ungepanschtes Bier gegangen.
Mitunter kann einen ja ein wenig der Hunger überkommen, wenn man in Büchern über das Essen liest. Sollte man sich am nächsten Wochenende nicht mal einen hübschen Braten machen? Doch die Lektüre von Schuberts faszinierender Studie hinterlässt eher einen Stoßseufzer:
Gott sei Dank, dass man selbst von diesen scheußlichen Dingen, die da als Nahrungsmittel beschrieben werden und die zu erlangen unsere Vorfahren sich so quälen mussten, bislang keine hat zu sich nehmen müssen. OLAF B. RADER
ERNST SCHUBERT: Essen und Trinken im Mittelalter. Primus Verlag, Darmstadt 2006. 439 Seiten, 39,90 Euro.
Einfach kochen wie die Besten
20-mal Sterneköche mit der SZ Bibliothek der Köche
event - Jan 30, 10:04